Auftakt Bolivien: Mit dem Nachtbus nach Sucre in die Straßenblockade
Wir geraten mit unserem Nachtbus auf dem Weg von Santa Cruz nach Sucre in eine Straßenblockade. Dies ist eine Demonstration der bolivianischen Art und lässt uns mitten in pechschwarzer Nacht im Gebirge ohne Mobilfunkverbindung stranden. Eine kleine unerschrockene Gruppe macht sich dann auf, um durch die Straßenblockade zum nächsten Dorf zu wandern und dort eine Transportmöglichkeit zu finden.
Lese hier über unser siebenstündiges Abenteuer in den Anden Boliviens, lerne ein wenig über die politischen Hintergrund der Demonstration in Form der Straßenblockade und über das Prinzip Hoffnung.
Unsere ersten Stunden in Bolivien
Die Anreise
Wir fliegen mit Boliviana de Aviación von São Paulo nach Santa Cruz, Bolivien. Unser eigentlicher Plan war es, mit dem „Death Train“ von der brasilianisch-bolivianischen Grenze nach Santa Cruz zu reisen. Doch leider haben weder eMails noch WhatsApp Nachrichten an diverse Touristenbüros oder den Zugbetreiber Ferrobus eine Bestätigung gefunden, ob der Zug noch verkehrt. Die Anreise zur Grenzstadt Corumbá, Brasilien wäre zu schwerfällig und zeitaufwendig gewesen, um das zu riskieren. Von Puerto Quijarro auf der bolivianischen Seite verkehrte der Zug einst in die wichtige Metropole Santa Cruz.
Wieso „Death Train“ ?
Es gibt mehrere Theorien. Die zwei populärsten sind folgende: Der Bau dieser Bahnstrecke kostete so viele Menschenleben, dass man dem Zugverkehr diesen Beinamen verpasste. Die andere hängt mal wieder mit dem Gelbfieber zusammen (siehe Panamakanal). Viele Infizierte wurden einst über diese Strecke transportiert.
Kurzaufenthalt in Santa Cruz
Santa Cruz de la Sierra gilt als perfekter Ausgangspunkt, um Bolivien von Brasilien kommend zu erkunden. Der zentrale Plaza 24 de Septiembre bildet das Herzstück von Santa Cruz, wo du die Kathedrale und charmante Cafés findest. Kunstliebhaber schauen vielleicht im Museo de Arte Sacro für sakrale Werke vorbei. Wir besuchen lediglich den schönen Platz und genießen das rege Treiben, bevor wir den Nachtbus nach Sucre nehmen.
Für diejenigen, die lieber dem Städtetrubel entfliehen, verspricht ein Ausflug zum Parque Nacional Amboró Abenteuer: Hier kannst du Wanderungen durch tropischen Regenwald unternehmen und Wasserfälle in üppiger Flora und Fauna erleben.
Mit dem Sucre Nachtbus in die Straßenblockade
Noch in Santa Cruz erhalten wir von TicketBolivia (dort kauft man seine Bustickets) eine eMail mit der Info, dass unsere Busgesellschaft den Betrieb nach Sucre wegen Straßenblockaden eingestellt hat. Jedoch fährt ein anderes Busunternehmen einen Umweg von 4 Stunden und wir könnten umbuchen. Nun, wir wollen nach Sucre, also entscheiden wir uns für die Umbuchung und fahren bereits 16 Uhr statt 18 Uhr. An der Stelle sei angemerkt, dass wir keine Bolivien-Experten sind und erst jetzt lernen, dass Straßenblockaden in Bolivien häufig vorkommen (siehe Pressemeldungen hier und hier). Eine aktuelle Karte der Demonstrationen findest Du hier.
Der Zustand des Busses entpuppt sich – wenig überraschend – als deutlich anders im Vergleich zu den Werbebildern. Doch zumindest lassen sich die Sitze bis zu 160 Grad verstellen, sind schön breit und nach 10 Minunten an Bord hat sich unsere Nase auch an den strengen Geruch gewöhnt.
Bus fahren ist zum Sparen, nicht zum Reisen
Die Preise der Nachtbusse sind in Bolivien unglaublich günstig. Allerdings unterscheidet sich der Zustand der Busse (außen wie innen) deutlich von den Werbeprospekten! Die Toilette ist wirklich nur für die „Notdurft“ geeignet und auf der zwölfstündigen Fahrt sind nur 1-2 Pausen angedacht.
Desweiteren sind die Temperaturen in den Bussen entweder so unangenehm heiß, dass Du am liebsten in Badehose oder eben in einem arktis-geeigneten Ganzkörperanzug schlafen möchtest.
In Mataral hält der Bus das erste Mal zur Pause. Hier gibt es Essen und für 1 BOB auch Zugang zu einer Toilette. Wir vertreten uns stattdessen an diesem verlassenen Ort die Beine, während Lastwagen durch die Nacht an uns vorbeibrausen. Nach 15 Minuten geht es weiter in Richtung Sucre.
Die erste Straßenblockade vor Aiquile
Gegen ungefähr 2:00 Uhr weckt mich Anne aus einem traumlosen Schlaf mit den Worten „Wach‘ mal auf, wir stehen und es kam bereits ein anderer Bus im Rückwärtsgang an uns vorbei.“. Mit einem Mal hellwach stellt sich die Situation in Kurzform folgendermaßen dar:
Mitten im Gebirge haben Aktivisten auf der Straße nach Sucre mit Gestein und Dornengestrüpp eine Straßenblockade errichtet. Es handelt sich um eine Art von Demonstration. Der Busfahrer will entweder warten oder nach Santa Cruz zurückkehren.
Diese beiden Optionen lösen bei unseren ausnahmslos bolivianischen Mitreisenden erst Gemurmel, dann nachhaltig immer lauteren Unmut aus. Da stehen wir zwei Touris inmitten pechschwarzer und mondloser Nacht auf 2000 Meter Höhe irgendwo in einer Serpentine einer Gebirgsstraße. An eine Mobilfunkverbindung ist hier nicht zu denken. Und aus dem Durcheinander der ebenfalls ahnungslosen Bolivianer sind keine sicheren Informationen abzuleiten. Abgesehen von den Protesten der Mitfahrer bläst ein leichter Wind und hier und da ist das Geräusch einer Zirpe oder anderer Tiere zu hören. Im schwachen Scheinwerferlicht des Busses sind die Dornenbüsche und Gesteinsbrocken auf der Straße zu erkennen.
Plötzlich zerreißt ein fiepender Piepston die Nacht und eine Wand aus gleißendem Licht erhellt weiter unten die Straßenblockade. Ein Lastwagenfahrer legte den Rückwärtsgang ein. Minuten vergehen, während das Fahrzeug sich rückwärts an der schmalen Straße abkämpft und schließlich an unserem Nachtbus vorbei zirkelt. Hinter uns gibt es offenbar eine Wendemöglichkeit und kurze Zeit später umhüllt uns wieder die schwarze Nacht und deren Stille. Das ist ungefähr der Zeitpunkt, als zum ersten Mal in der Gruppe der Vorschlag zum Wandern ins nächste Dorf aufkommt.
Dann wieder das bekannte pfeifende und dröhnende Geräusch eines herannahenden LKW – diesmal jedoch von hinten. Nachdem unser Nachtbus nun mittlerweile ohne Licht mitten auf der Straße steht, packen wir hektisch unsere Smartphones heraus und leuchten die Arme schwingend eine Warnung in Richtung des Fahrers, der dann auch abrupt abbremst.
Letztlich setzt sich gegen ungefähr 3:00 Uhr eine kleine Gruppe aus Bolivianern sowie Anne und mir in Richtung Ungewissheit in Bewegung. Zum Glück versteht Anne ein wenig Spanisch und wir verlassen uns auf die Info einer Mitreisenden, dass der nächste Ort ca. 20 Minuten Fußweg entfernt liegt und es dort einen Bus nach Sucre geben sollte. Fakt ist jedoch, dass niemand genau weiß, wie weit das nächste Dorf entfernt ist, noch ob es dort einen Transport gibt. Offenherzig gestehen wir ein, dass wir uns von der Hoffnung der Bolivianer einfach haben anstecken lassen.
Hintergrundinfos zur Demonstration und Straßenblockade
Seit dem 08. Nov 2020 regiert Luis Arce in Bolivien. Der letzte Präsident Juan Evo Morales – Multi Millionär, Gewerkschaftsorganisator und ehemaliger Cocalero-Aktivist (Koka Bauern!) – protestiert praktisch seit seiner verlorenen Wahl mit seinem Anhängern gegen die Regierung. Aktuell kämpft er gegen seine strafrechtliche Verfolgung. Unter anderem in dem er seine Anhänger gegen Bezahlung zu Straßenblockaden im ganzen Land aufruft.
Nach ca. 6,5 Kilometern Fußmarsch mit immer schwerer werdendem Gepäck erreichen wir ca. 4:30 Uhr das nächste Dorf Aiquile. Die vergangenen 1,5 Stunden vergingen mit stumpfem Laufen und der einzigen Lichtquelle in Form zweier Stirnlampen. Als wir schließlich eine Straßenkreuzung erreichten, versuchten wir – leider vergeblich – Autos anzuhalten.
Straßenblockade und Demonstration ziehen sich in die Länge
Inmitten von Aiquile willigt ein Fahrer eines Kleintransportunternehmens ein, die Strecke bis zur nächsten Straßenblockade zu überbrücken. Offenbar ist das Dorf von den Straßenblockaden umzingelt. Die aufkeimende Hoffnung der Gruppe erhält einen kleinen Dämpfer, doch der Fatalismus siegt erneut. Dann laufen wir eben durch die nächste Straßenblockade. Das Taxi überbrückt eine weite Distanz von vermutlich 10-15 Kilometern bis wir das bekannte Bild von parkenden LKWs am Straßenrand in der Dämmerung erkennen. Erneut schultern alle ihr Gepäck und laufen an den stehenden 40 Tonnern vorbei gen Dornenbüsche und Gesteinsbrocken. Die zweite Demonstration ist professioneller organisiert. Die Aktivisten hocken in landestypischer Kleidung am Straßenrand bei Lagerfeuerromatik und bestaunen unseren kleinen Treck aus Verzweifelten, die um ihre Hindernisse herum und stur gen Horizont laufen. Es fällt schwer das gelegentliche „Buenos Dias“ zu erwidern, schließlich sind sie es, die uns diese Ochsentour abverlangen. Es ist mittlerweile ungefähr 6:30 Uhr.
Geschäftstüchtige Bolivianer und Aktivisten bieten nach der zweiten Straßenblockade ihre Fahrdienste an. Zwischen hier und der dritten Blockade liegen 10 Minuten Fahrt und wir genießen die kurze Reise zu acht gezwängt in einem Kleinwagen. Anschließend das bekannte Prozedere: Rucksäcke schultern und weiter wandern. Der Stau von Sucre geht gefühlt bis zum Horizont und so wiederholt sich alles aus der Nacht. Am Ende der Blockade und der ewig langen Warteschlange der LKW taucht ein Van auf und spricht mit den Schnellsten aus unserer Gruppe. Wir sehen, dass diese hinten ans Heck des Wagens laufen und schon geht auch die Seitentür auf. Wir legen ebenfalls einen Zahn zu, um noch einen der begehrten Plätze im Van ergattern zu können und haben wieder Glück.
Am Ende fährt uns dieser Van in halsbrecherischem Tempo über Gebirgsstraßen in das 2750 Meter hoch gelegene Sucre. Wir erreichen Sucre um 8:41 Uhr, nehmen ein Taxi und fallen in der Unterkunft gegen 9:30 Uhr in einen tiefen festen Schlaf bis ca 13 Uhr. Zwei Tage später habe ich eine handfeste Erkältung.